Wie eine Abmahnung zur Domainpfändung führen kann, haben wir bereits erklärt. Mittlerweile sind so viele weitere Fragen in Kommentaren oder per Mail oder Telefon aufgetaucht, so dass ich nachfolgend Stellung nehmen will.
Einen besonderen Dank an die Hinweise von Henning Krieg von kriegsrecht.de, dem die Problematik der potentiellen Überbereicherung von Euroweb sofort ins Auge fiel. Einen sehr guten Überblick zu der Versteigerungsproblematik liefert auch Robert Basic in seinem Blog.
Ist eine Domain für einen Blogger nicht so wesentlich, dass man sie nicht pfänden darf?
Es gibt den § 811 Abs.1 Nr.5 Zivilprozessordnung (ZPO), der zwar für Pfändung von Sachen angewandt wird, aber dessen entsprechende Anwendung für sonstige Rechte, wie die Domain überlegt wird:
Folgende Sachen sind der Pfändung nicht unterworfen:
bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände;
Doch auch bei entsprechender Anwendung der Vorschrift auf Domains ist es zweifelhaft, ob diese Vorschrift bei Domains einschlägig ist:
1. Die Domain darf nicht einfach austauschbar sein
Dazu hat bereits das Landgericht Mönchengladbach ausgeführt, dass dies nur gilt, wenn die Domain „sich im Rechtsverkehr durchgesetzt und nicht (mehr) ohne Weiteres gegen eine andere ausgetauscht werden kann“ und lehnte den Einwand im Fall eines Webdesigners mit dem Hinweis ab, dass „nur mit geringem finanziellen und tatsächlichen Aufwand ggfls. eine Ersatzdomain zu beschaffen“ sei (LG Mönchengladbach Beschluss v. 22.09.2004 Az. 5 T 445/04).
2. Die Domain müsste ein persönliches Arbeitsmittel sein
Zusätzlich schützt die Vorschrift nur die Mittel, die für die persönliche Arbeitsleistung notwendig sind. Sie schützt also nicht Kapital- oder Unternehmenswerte, die „von alleine arbeiten“. Also ist die Schreibmaschine eines Journalisten geschützt, aber nicht sein Zeitungsverlag.
Wenn eine Domain wie „Nerdcore.de“ so bekannt und werthaltig ist, liegt die Vermutung nahe, dass sie doch eher einen Kapitalwert, als ein persönliches Mittel darstellt. So kommt Cornelia Birner in ihrem Buch „Die Internet-Domain als Vermögensrecht“ (Mohr, Siebeck, Tübingen 2005, hier sogar bei Google Books entdeckt) auf S. 120 zu dem Ergebnis, dass die § 811 Abs.1 Nr.5 ZPO für Domains grundsätzlich nicht in Frage kommt.
Wie diese zwei Punkte im Fall von Nerdcore.de aussehen ist schwer zu beurteilen. René Walter sagt wohl, die Domain sei 70.000 Euro wert, was nach einem Kapitalmittel klingt. Ferner zeigt der schnelle Domainwechsel zu http://www.crackajack.de/, der dank Walters Vernetzung sich schnell herum spricht, dass die Domain wohl nicht so unentbehrlich ist. Zusammen gefasst spricht doch einiges gegen einen Pfändungsschutz nach § 811 Abs.1 Nr.5 ZPO.
Falls dieser Punkt im dem Streit um Nerdocre.de relevant werden sollte, könnte diese Frage endlich praktisch behandelt werden.
Durfte die Domain gepfändet werden, obwohl René Walter seine Verbindlichkeiten gegenüber der Euroweb GmbH bezahlt hat?
Laut der Anwälte von Euroweb ist die Zahlung zu spät eingegangen. Daher durfte die Domain gepfändet werden, was auch passiert ist. Den verspätet gezahlten Betrag kann René Walter aber zurück verlangen.
Ist der Rechtsstaat am Ende, wenn Bloggern die Domain gepfändet werden können?
Nach dem bisherigen Kenntnisstand hat René Walter alle Abmahnungs-, Gerichts- und Pfändungsfristen verstreichen lassen. Ferner wurde er laut des vorliegenden Auszuges der Gerichtsentscheidung als Mitbewerber der Euroweb GmbH eingestuft, so dass es sich nicht um reine Unternehmen vs. Blogger, sondern Unternehmen vs. Unternehmen – Konstellation gehandelt hätte. Des Weiteren kann ein Gläubiger sich aussuchen in welche Güter des Schuldners er vollstreckt, wenn sie ihm als werthaltig und sicher erscheinen. Und dazu gehört auch die Domain.
Daher stimme ich Carsten Ulbricht zu, wenn er feststellt, dass „jedenfalls aus rechtlicher Sicht keinerlei Zweifel an der Rechtmäßigkeit des bisherigen Verlaufs“ bestehen. Ein anderer Punkt ist die moralische Sicht. Denn wie Udo Vetter zutreffend schreibt, hätte es nicht unbedingt die Domain sein müssen, die gepfändet wurde.
Moralische Fehler führen aber nicht zu rechtlicher Unwirksamkeit, sondern zu einer Gesellschaftskritik, die Euroweb derzeit erlebt.
Kann Euroweb über den gesamten Versteigerungserlös der Domain verfügen?
Werden Sachen (Autos, Computer, o.ä.) gepfändet und versteigert, so bekommt der Gläubiger (also derjenige, der pfänden lässt) nur den Anteil, der seiner Forderung entspricht. Den Rest bekommt der Schuldner (also derjenige, bei dem gepfändet wird).
Aber wie sieht es bei sonstigen Rechten wie einer Domain aus?
In diesem Fall hat der Gläubiger (= Euroweb) im Wesentlichen zwei Möglichkeiten:
1. Gläubiger lässt sich die Domain erfüllungshalber übertragen und verwerten
In diesem Fall geht es ihm darum das Geld für seine Forderung zu bekommen. Er wird nicht der Inhaber der Domain und trägt damit auch nicht das Risiko, wenn die Domain weniger wert ist als er dachte.
Beispiel:
Beträgt die Forderung des Gläubiger z.B. 2.000 Euro (wie wohl in diesem Fall) und die Domain wird nur für 1.000 Euro versteigert, hat der Gläubiger weiterhin einen Anspruch von 1.000 Euro gegenüber dem Schuldner(= Domaininhaber, hier René Walter). Ist die Domain aber 70.000 Euro wert, bekommt der Gläubiger nur 2.000 Euro und der Schuldner die überschüssigen 68.000 Euro
2. Gläubiger lässt sich die Domain an Zahlung statt übertragen
In diesem Fall wird die Domain nicht verwertet, sondern dem Gläubiger sofort übertragen, womit seine Ansprüche erloschen sind. Das ist im Fall von Euroweb geschehen. Dieser Fall ist selten, da der Gläubiger das Risiko trägt, wenn die Domain doch weniger wert ist als gedacht. Daher wird an Zahlung statt nur dann übertragen, wenn man diese bestimmte Domain haben will.
Beispiel:
Beträgt die Forderung des Gläubigers 2.000 Euro und die Domain wird nur für 1.000 Euro versteigert, hat der Gläubiger trotzdem keinen Anspruch von 1.000 Euro gegenüber dem Schuldner, da mit der Übertragung der Domain die Forderung erfüllt ist. Ist die Domain aber 70.000 Euro wert, bekommt der Gläubiger volle 70.000 Euro und der Schuldner sieht von den überschüssigen 68.000 Euro nichts mehr.
Aber ist das nicht unfair, dass Euroweb sich so bereichern kann?
Bevor die Domain übertragen wird, wird ein Schätzwert für die Domain ermittelt, damit der Gläubiger sich eben nicht auf Kosten des Schuldners bereichert. Der Schuldner kann diesem Schätzwert widersprechen und sich auf Überpfändung berufen. Im Zweifelsfall entscheidet ein Gutachter.
Und wenn René Walter die Frist dem Schätzwert zu widersprechen tatsächlich versäumt hat, wird er keinen Anspruch auf den Überschuss haben.
Das kann ein kluger Schachzug von Euroweb gewesen sein, aber es war kein Vorgang, gegen den sich René Walter nicht hätte wehren können. Und vielleicht tut er es gerade, denn dazu wissen wir noch nichts.
Darf eine Domain gepfändet werden, obwohl dort die Emails des bisherigen Inhabers eingehen?
Das ist ungefähr mit der Pfändung eines Grundstücks vergleichbar. Auch hier wird die „Adresse“ quasi mitgepfändet. Allerdings sind Emails problematischer als Post, die man von Außen nicht lesen kann. Der neue Inhaber darf selbstverständlich nicht die Emails lesen, die an René Walter zugehen, muss aber die Möglichkeit haben zu nachzuschauen, an wen sie gerichtet sind. Hier empfiehlt sich z.B. eine automatische Filterung, wobei auch der Schuldner verpflichtet ist seinen Kontakten die neue Adresse mitzuteilen.
* Update 22.01.2011 *
Anscheinend wurde die Domain Nerdcore.de auf 100 Euro (!) geschätzt, wie Udo Vetter berichtet. Es ist unglaublich, dass ein Gericht diesen Schätzwert einfach so geglaubt hat. Und wenn Euroweb diesen Wert eingebracht hat, dann liegt meines Erachtens der Verdacht eines Prozessbetrugs sehr, sehr nahe. Denn Euroweb kann sich kaum rausreden, dass die so wenig Ahnung von Domainwerten hätten.
* Update 27.01.2011 *
Ich bin auf einen sehr interessanten Artikel bei PETRINGS.DE hingewiesen worden, in dem sich Dr. Petring für einen erweiterten Schutz gegen die Domainpfändung bei Betreibern von Onlineshops, aber auch für anderen Gewerbetreibenden oder Freiberuflern, die im Internet ihre Waren oder Dienstleistungen vorstellen, bewerben und anbieten“ ausspricht:
„Domain-Pfändung: Vollstreckungsschutz bei geschäftlicher Internet-Domain“
Ganz besonders interessant finde ich seinen Ansatz, die Grundrechte der Meinungs- und Informationsfreiheit aus Art 5 Grundgesetz als Argumente gegen die Pfändung einfließen zu lassen.
Der Beitrag Nerdcore.de – Fragen zur Pfändung einer Domain (Recht und Ungerecht) erschien zuerst auf Kanzlei Dr. Thomas Schwenke.